Unterwegs zwischen Gräbern

Ein Besuch auf dem alten Südfriedhof in München

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Reise

Die Fahrt aus dem schönen Nordhessen heraus zum verlängerten Wochenende nach München beginnt verstörend, denn der Zug ist vier Minuten zu früh und erreicht auch alle nachfolgenden Bahnhöfe früher als geplant.

Nachdem meine Versuche der letzten Jahre, mittels der Bahn irgendwo anzukommen, ausnahmslos mit dem Status “es ist kompliziert” betitelt werden konnten (Verspätungen wegen vorausfahrender Züge, überraschender Baustellen, kaputten Zügen, kaputten Gleisen, Schneeflocken am Himmel, Wind im Schienenbereich, gefolgt von hektischen Sprints mit schwerem Gepäck in der Hand bei dem aussichtslosen Experiment, es in unter einer Minute von Gleis 2 auf Gleis 31 zu schaffen und den anschließenden sinnlosen Fahrten quer durch die Republik, um das gewünschte Ziel irgendwie zu erreichen) läuft diesmal alles glatt, bei strahlend blauem Himmel rollt der Zug durchs Land, es ist wirklich verwunderlich und ich werde das Gefühl nicht los, dass die Bahn eigentlich das coolste Verkehrsmittel überhaupt sein könnte.

Münchener Stadtansichten

Münchener Stadtansichten

Auch die bayerische Landeshauptstadt legt sich richtig ins Zeug und trumpft Ende Februar mit bestem Wetter und frühlingshaften Temperaturen auf. Es gibt so viel zu sehen und noch viel mehr zu fotografieren, denn München ist geradezu vollgestopft mit schönen alten Schlössern und Bauten, die mal dem König gehörten oder in denen sich andere wichtige Persönlichkeiten aufgehalten haben. Von den Kirchen ganz zu schweigen—reich dekoriert liegt eine direkt an der nächsten, man wandert quasi von christlichem Gemäuer zu christlichem Gemäuer, in dem es zwar genauso kühl und ganz leicht muffig riecht, aber eben völlig anders aussieht, mal ist alles golden, mal ist alles voll mit weißem Stein, mal sind es Kombinationen, nur die hohen Decken und die knarrenden Holzbänke sind allen Kirchen gleich und meistens findet man auch einen blutüberströmten Jesus am Kreuz, es hilft ja nichts—doch ich schweife ab. Denn auch wenn die herrschaftlichen Gebäude, großen Anlagen, Plätze und Kirchen ein Mekka an spannenden Fotomotiven bieten, so ist mein heimliches Highlight doch der alte Südfriedhof gewesen.

Ort der Stille

Unscheinbar liegt er hinter sehr hohen Mauern, so dass man von der Straße überhaupt nicht sieht, welches Kleinod sich hier verbirgt. Erst beim Betreten des Geländes durch das große, schmiedeeiserne Tor erkennt man die Grabsteine und damit den Zweck dieses eingemauerten Ortes direkt in der Stadt. Hinter den Mauern ist es so, als gäbe es das lärmende München da draußen gar nicht, ein eigener kleiner Mikrokosmos der Stille tut sich auf, ein Ort des Friedens, im wahrsten Sinne.

Ende Februar auf dem Alten Südfriedhof

Ende Februar auf dem Alten Südfriedhof

Der Südfriedhof steht unter Denkmalschutz und ist kein aktiver Friedhof, hier wurde seit vielen Jahrzehnten kein frisches Grab mehr ausgehoben. Aber die vorhandenen sind dafür umso beeindruckender, auch wenn einige nach der langen Zeit zu verfallen beginnen oder bereits verfallen sind. Sie stehen den herrschaftlichen Gebäuden der Stadt in nichts nach, wer nobel lebte, liegt nobel im Grab, so ist das hier.

Lange Schatten

Lange Schatten

Blütenteppich

Blütenteppich

Das allwissende Internet verrät, dass der Friedhof im Jahr 1563 angelegt wurde, um den Opfern der Pest eine letzte Ruhestätte zu bieten und lange Jahre der einzige Friedhof der Stadt war—was auch die Namensdichte bekannter Persönlichkeiten erklärt, hier liegen die Gebeine von Brauereigründer:innen, Naturwissenschaftler:innen, Künstler:innen, Senffabrikant:innen und vielen anderen mehr.

Zwischen den Gräbern

Zwischen den Gräbern

Grab an Baum an Krokusteppich

Grab an Baum an Krokusteppich

Die eigentliche Show sind jedoch die kleinen violetten Krokusse, die im Sonnenschein des späten Februars ihre Blütenkelche weit geöffnet haben. Dicht an dicht stehen sie auf den Wiesen zwischen den Gräbern, ein Traum in zartem Lila, so viel blühenden Überfluss habe ich überhaupt noch nie gesehen.

Violette Krokusse

Violette Krokusse

Die Gräber mit ihren großen Grabsteinen werden schnell zur Nebensache, weil sich in den Zwischenräumen die kleinen Farbtupfer in die Höhe recken, die ersten trägen Insekten zwischen ihnen brummen und hier und da ein Vogel munter balzt, beschaulicher geht es kaum und das alles auf einem Friedhof, verborgen hinter meterhohen Mauern mitten in einer Großstadt. Ich bin verzaubert von diesem Ort des Abschieds und der Trauer, der gleichzeitig so viel Neubeginn enthält.

Fotografie Blütezeit Bayern

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Kathinka
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Kathinka

Lebt im grünen Nordhessen, weil es dort so schön ist. Hat als studierte Germanistin in langjähriger Arbeit in der Informatik Nerdwissen Deluxe gesammelt. Mag Matsch und Schlamm genauso gern wie einen bunten Sonnenaufgang, steht für beides auch mal mitten in der Nacht auf und findet, dass es generell nie genug Bilder von Bäumen im Nebel geben kann.

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