Frühlingswanderung im Land der Kirschen

Kirschblütenzeit in Witzenhausen

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Nordhessen

Im fernen Japan wird im Frühling die Kirschblüte mit zahlreichen Kirschblütenfesten gefeiert. Dieses Event einmal mitzuerleben, weil man sich zufällig in Japan aufhält, während zufällig Kirschblütenzeit ist, ist ein ferner fotografischer Traum.

Immerhin habe ich es ja schon mal zur richtigen Zeit zur Kirschblüte in Bonn geschafft und auch die schönen japanischen Zierkirschen in Kassel sind jedes Jahr einen Besuch wert. Und weil das noch nicht reicht, gibt es ganz in der Nähe von Kassel auch ein echtes Blütenmeer, für das sich geschätzte 100.000 Kirschbäumen in Schale werfen: das Kirschenland rund um die kleine Stadt Witzenhausen im Geo-Naturpark Frau-Holle-Land. So mache ich mich eines schönen Morgens Anfang April auf, um den Blütenzauber zu bestaunen.

Kirschblütenzeit in Witzenhausen

Kirschblütenzeit in Witzenhausen

In der Vergangenheit war ich schon einige Male in Witzenhausen, jedoch meistens, um Kirschen zu kaufen und nicht zum Wandern, eine Tatsache, die wohl deutlich offenbart, wo die eigentlichen Prioritäten in meinem Leben liegen. Der Wanderparkplatz im Stadtteil Wendershausen liegt direkt an der Bundesstraße und ist auch in der Morgendämmerung kaum zu verfehlen, zwei große Flaggen und eine überdimensionale Plakatwand mit weiß blühenden Bäumen darauf können eindeutiger nicht sein.

Der April hat in diesem Jahr überdurchschnittlich warm gestartet, so dass auch die Kirschbäume früher als normal aus ihrem Winterschlaf erwacht sind. In der milden Luft weht der Duft von Millionen Blüten über den noch leeren Parkplatz, mehr nach Frühling kann es nicht mal in Japan riechen, so viel ist sicher. Direkt am Parkplatz liegt strategisch clever eine Gaststätte, die im Hinterhof einen lauschigen, kleinen Biergarten hat. Um die Uhrzeit ist natürlich noch alles geschlossen, aber ich stelle mir vor, dass es sich nach einer Wanderung bestimmt gut einkehren lässt—und dass der Parkplatz Schilder hat, die auf die Parkmöglichkeiten für Reisebusse hinweisen, lässt großes vermuten.

Der Geruch des Frühlings am Morgen

Auf dem Lageplan gibt es verschiedene Kirschwanderwege zur Auswahl, ich starte mit Weg Nummer 2, der gemütlich bergauf zum Süßkirschenversuchsbetrieb führt. Es dauert nicht lange, und ich erreiche die ersten weiß blühenden Bäume am Wegesrand—Frühlingsgefühle deluxe und das alles schon Anfang April! Durch ein Holzgatter betrete ich den Süßkirschenversuchsbetrieb, in dem zahlreiche kompakte Bäume in ordentlichen Reihen um die Wette blühen. Die ersten, noch trägen Bienen und Hummeln gehen schon fleißig ihrem Tagwerk an der Kirsch-Produktionsstraße nach, bei der Anzahl von Blüten haben sie reichlich zu tun.

Auf dem Weg durch den Süßkirschenversuchsbetrieb

Auf dem Weg durch den Süßkirschenversuchsbetrieb

Der Süßkirschenversuchsbetrieb ist mit Tafeln bestückt, die allerlei Wissenswertes zum Thema Kirschen enthalten. Zum Beispiel lerne ich, dass die schwachwüchsige Wurzelunterlage mit dem wohlklingenden Namen Gisela in Witzenhausen gezüchtet wurde. Sie sorgt dafür, dass die Bäume so klein und kompakt bleiben, was die Ernte natürlich erheblich erleichtert. Außerdem erfahre ich, dass in WItzenhausen zahlreiche verschiedene Kirschsorten angebaut werden, die sich untereinander befruchten können, aber dass die Kirschensorte Celeste selbstbefruchtend ist. Eigentlich braucht sie ihre reichlichen Nachbarn also gar nicht—ein großer Vorteil für die Planung kleiner Gärten. Je häufiger ich das Wort Kirschen lese, desto mehr Vorfreude bekomme ich übrigens auf die süßen Früchtchen (wir wären wieder bei den Prioritäten), aber die sind ja noch längst nicht reif.

Danke für die Heimat

Je näher ich dem oberen Teil des Süßkirschenversuchsbetriebs komme, desto lauter sind die wolligen Geschöpfe auf der angrenzenden Weide zu vernehmen und zu dem betörenden Duft der vielen Blüten mischt sich der unverkennbare Geruch nach Schaf.

Am oberen Ende des Süßkirschenversuchsbetriebs lädt ein Aussichtspunkt mit Bänken zum Verweilen ein. Ein dicker bemalter Stein ruht auf einem der Tische. Die Aufschrift "Danke für die Heimat" macht mich ein wenig nachdenklich. Die Heimat ist immer eine Selbstverständlichkeit gewesen, sie ist halt da und jederzeit verfügbar mit ihren Kirschbäumen und Urwäldern und Parks und Bergen. Aber wusste ich das all die Jahre eigentlich zu schätzen? Ich beschließe, dem Gedanken des Steinbemalers zu folgen und etwas dankbarer für die Heimat im schönen Nordhessen zu sein. Die Schafherde untermalt diesen Beschluss mit gar nicht mal so leisem Geblöke.

Danke für die Heimat

Danke für die Heimat

Von hier oben schweift der Blick über die Kirschbäume in die Ferne zur Burg Ludwigstein und der etwas weiter entfernten Burgruine Hanstein, die nach großartigen Ausflugszielen für einen anderen Tag aussehen. Dieser Ausblick auf die beiden Burgen hat übrigens den phantasievollen Namen Zweiburgenblick und ist eines der vielen Highlights des Streckenwanderwegs Werra-Burgen-Steig Hessen, der über 10 Touren und insgesamt 117 Kilometer von Hann. Münden nach Herleshausen-Holzhausen führt. Ich erwähne es ja immer wieder gern, Nordhessen ist voll von Streckenwanderwegen für Wanderfreudige und solche, die es noch werden wollen.

Blick auf Burg Ludwigstein

Blick auf Burg Ludwigstein

Der weitere Weg führt durch ein kleines Waldstück, die Schafherde ist bald nicht mehr zu hören, es geht auf einem Schotterweg bergab, vorbei an imposanten alten Kirschbäumen, gegen die die kleinen Arbeitstiere im Süßkirschenversuchsbetrieb wie Kindergartenkinder wirken.

Vorbei an blühenden Bäumen auf dem Kirschwanderweg

Vorbei an blühenden Bäumen auf dem Kirschwanderweg

Da ich nun schonmal hier bin, beschließe ich, auch noch den Wanderweg mit der Nummer 1 zu gehen, die Fahrt soll sich ja schließlich gelohnt haben. Kirschwanderweg 1 führt steil zum Sulzberg hinauf und in der mittlerweile prallen Sonne komme ich erstmal tüchtig ins Schwitzen. Zum Glück bin ich ja freiwillig hier! Von oben belohnt der Blick über ein weißes Blütenmeer, in der Ferne winkt noch einmal die Burg Ludwigstein zwischen den Wipfeln der noch kahlen Laubbäume hindurch. So hatte ich mir das vorgestellt.

Unterwegs im Kirschenland

Unterwegs im Kirschenland

“Uff die Kirschen”

Der Rundweg, übrigens vorbildlich ausgeschildert, ein Verlaufen ist quasi unmöglich, führt weiter abwechslungsreich durch Kirschbäume und Waldstücke. An einem Rastplatz schaue ich mir die Welt durch das “Guckloch uff die Kirschen” an. Seltsame Sehenswürdigkeiten können wir hier in Nordhessen.

Das Guckloch uff die Kirschen—sie sind immer noch nicht reif!

Das Guckloch uff die Kirschen—sie sind immer noch nicht reif!

Durch den Wald geht es zurück und irgendwann auch wieder bergab Richtung Wendershausen, das unten im Tal an der Werra liegt und umgeben von all den weißen Blüten ist. Inzwischen kommen mir jede Menge Wandernde entgegen, nicht umsonst ist das Kirschblütenland im Frühling ein wahrer Touristenmagnet. Als ich schließlich wieder den Parkplatz erreiche, staune ich über eine zweistellige Kilometerzahl auf dem Wander-Tacho. Die Zeit vergeht wie im Flug, wenn man Spaß hat. Ich beschließe, spätestens zur Kirschernte wieder vorbeizuschauen.

Gut zu wissen

  • Die Stadt Witzenhausen und der zugehörige Stadtteil Wendershausen sind zwar überschaubar, jedoch ist das Gebiet darum herum eines der größten Kirschanbaugebiete in Europa. Rund um Witzenhausen wachsen und gedeihen unglaubliche 100.000 Kirschbäume in verschiedenen Sorten!

  • Die Kirschwanderwege liegen im Geo-Naturpark Frau-Holle-Land. Je nach Wunsch und Konstitution gibt es verschiedene Wanderangebote, die kombinierbar sind. Wie in Nordhessen üblich, geht es meistens moderat bergauf und bergab. Wanderungen werden auch als geführte Gruppentouren angeboten.

  • Die Kirschblüte ist stark vom Wetter abhängig, sie spielt sich grob in der zweiten Aprilhälfte ab, falls nicht die vorhergehenden Monate überdurchschnittlich warm verlaufen.

  • Die Süßkirschenernte findet im Juni etwa zwei Monate nach der Blüte statt, dann werden die süßen Früchte an zahlreichen Straßenständen kistenweise verkauft.

  • Anlässlich des Endes der Kirschernte wird im Juli die Kesperkirmes im Ort gefeiert und dabei die Kirschkönigin gewählt—und weil es nichts gibt, was es nicht gibt, finden nebenbei auch die Deutsche Meisterschaften im Weitspucken von Kirschkernen statt.

Blütezeit Fotospot Wandern

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Kathinka
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Kathinka

Lebt im grünen Nordhessen, weil es dort so schön ist. Hat als studierte Germanistin in langjähriger Arbeit in der Informatik Nerdwissen Deluxe gesammelt. Mag Matsch und Schlamm genauso gern wie einen bunten Sonnenaufgang, steht für beides auch mal mitten in der Nacht auf und findet, dass es generell nie genug Bilder von Bäumen im Nebel geben kann.

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